
Grab dich frei
Der Samstag ist ein guter Tag. Zumindest hier. Die Wachen sind an den Wochenenden immer notorisch unterbesetzt. Daher kommt es häufiger vor, dass wir von Samstag Mittag bis Sonntag Nachmittag in unseren Zellen eingesperrt sind. Zeit genug um mich weiter langsam Richtung Freiheit zu bewegen. Überhaupt ist Zeit etwas, dass ich seit meinem Einzug in Blackgate im Überfluss habe. 10 Jahre - 10 verdammte Jahre Knast habe ich bekommen und dass nur weil ich meinem Cousin geholfen hab.
Mein Cousin war schon immer das schwarze Schaf der Familie und fand früh den Weg zur Crew - eine der brutalsten Straßengangs in der Gegend. Eines Abends rief er mich an ich müsse ihn schnell mit dem Auto abholen - an seinem Ton merkte ich sofort, dass er mal wieder in Schwierigkeiten steckte. Ich fuhr los und dann ging alles ganz schnell, also für euch die Kurzform: Polizeikontrolle, Festnahme, Verdacht auf Beteiligung an einer Schießerei zwischen rivalisierenden Straßengangs mit zwei Toten. Und jetzt der Haken bei der Sache: eine der gefundenen Kugeln stammte aus einer Waffe, die auf mich registriert war.
Und jetzt sitze ich hier in meinem 8qm Luxuszimmer und freue mich, dass endlich Samstag ist und noch mehr, dass es mir gelang in der Cafeteria einen Löffel zu klauen. Sobald das Licht ausgeschaltet wird mache ich mich an die Arbeit. Ich muss hier einfach raus und mein Tunnel hat schon eine beträchtliche Länge. Wenn ihr jetzt meint sowas gibt es nur in Filmen lasst euch gesagt sein: Blackgate ist ein altes Gefängnis und ich wäre nicht der Erste, der auf diesem Weg in die Freiheit findet. Und auch du kannst mir helfen, also: Grab dich frei.
Grab dich frei war bereits im Jahr 2019 ein erfolgreicher Kickstarter mit fast 2000 Unterstützern. Inzwischen ist das Spiel auch auf deutsch erhältlich und hat den Weg zu uns auf den Spieletisch gefunden. Wie ihr in der Einleitung bestimmt bemerkt habt gibt es bei dem Spiel nur ein Ziel: aus dem Blackgate Gefängnis ausbrechen. Das Problem dabei sind die anderen Knackis, die den gleichen Plan verfolgen und zwischendurch für ordentlich Stress sorgen - ja und Werkzeuge zum Graben sind im Knast auch eher rar.
Rein in den Knast
Der Aufbau ist schnell erledigt. Jeder Mitspieler wählt ein Tableau mit einem Charakter und stellt die entsprechende Spielfigur auf den Zellenblock. Nachdem alle Karten verteilt sind kann es auch schon losgehen. Gespielt wird abwechselnd reihum. Jeder Spieler kann in seinem Zug bis zu zwei Aktionen ausführen. Dabei gibt es zwei Arten von Aktionen:
- Standardaktionen - werden unabhängig vom Ort ausgeführt, dazu gehören:
- Durchsuchen
- Bewegen
- Einer Gang beitreten
- Eine Aktionskarte ausspielen
- Erpressung
- Herstellen
- Ortgebundene Aktionen - man muss sich also auf dem entsprechendem Ort auf dem Spielplan befinden, z. B.
- Graben im Zellenblock
- Verkaufen im Aufenthaltsraum
- Kaufen im Aufenthaltsraum
- Heilen auf der Krankenstation
- In der Cafeteria einen Löffel klauen
Die Hintergrundkarte von denen jeder Spieler eine bekommt kann einmal im Spiel im Laufe eines Zuges ausgespielt werden. Auf den Spielertableaus sind außerdem alle möglichen Aktionen abgebildet. Um sich zu bewegen kann man entweder den Würfel werfen und seine Figur auf ein Feld mit der entsprechenden Augenzahl setzen. Hat man einen bestimmten Ort im Blick, den man aufsuchen will kann man sich auch "vorsichtig" bewegen. Das kostet allerdings zwei Aktionen. Fast alle Orte können durchsucht werden. Dazu wird die angegebene Anzahl an Karten vom Nachziehstapel gezogen. Die Karten ermöglichen es dann dem Spieler Werkzeuge herzustellen, einer Gang beizutreten oder Aktionen zu spielen. Oder man tauscht die Gegenstände im Aufenthaltsraum gegen Zigaretten ein. Am Ende seines Zuges darf der Spieler nicht mehr als zehn Karten auf der Hand haben.
Um das Spiel zu gewinnen wird eine bestimmte Anzahl an Tunnelpunkten benötigt z. B. zwölf Punkte für ein Spiel zu zweit oder zu dritt. Diese Punkte gibt es nur im Zellenblock indem man mit den entsprechenden Werkzeugen den Tunnel gräbt. Das einfachste Werkzeug ist hier der Löffel, den man schnell in der Cafeteria mitgehen lässt. Wie auch bei der Produktion gilt aber auch beim Graben: nur der gesunde Knacki kann diese Aktion ausführen. Wer einen Prügelmarker besitzt sollte sich schleunigst auf die Krankenstation begeben um wieder fit zu werden.
Der Spieler der in seinen Handkarten viele Waffen hat kann sich überlegen ob er seine Mitspieler erpresst um so schneller an begehrte Werkzeuge für den Tunnelbau zu kommen. Wenn der Erpresste Spieler das Werkzeug nicht freiwillig rausrückt kommt es zum Kampf. Der Verlierer muss eine Karte abgeben (wenn der angegriffene Spieler unterliegt ggf. die gewünschte Werkzeugkarte) und darf sich über den Prügelmarker freuen. Werkzeuge können aber auch im Aufenthaltsraum für Zigaretten "gekauft", oder an bestimmten Orten durch die richtige Kombination von Karten produziert werden. Grundsätzlich bringen produzierte oder gekaufte Werkzeuge mehr Punkte beim Tunnelbau: Spitzhacke zwei Punkte und Spaten drei Punkte.
Michel und Michelle oder kooperativ
Ehrlicherweise muss man sagen, dass das Leben im Knast ohne Michel und Michelle nur halb so spannend ist. Wie in der Anleitung beschrieben vervielfacht diese Erweiterung die Interaktion und die Erpressungen beim Spiel zu Zweit. Zu Beginn einer Partie wird entweder Michel oder Michelle als Spielerfigur in die Duschen gestellt. Die Spielablauf ändert sich durch die Erweiterung wie folgt: zieht ein Spieler in einen Raum in dem sich Michel(le) befindet wird der Spieler sofort erpresst. Der aktive Spieler kann am Ende seines Zuges entscheiden, ob er Michel(le) durch einen Würfelwurf versetzt. Wenn Michel(le) versetzt wird erpresst er direkt alle Spieler an dem befindlichen Ort. Ein schönes Mittel, um seinen Mitspielern das Leben schwer zu machen - kann aber auch schiefgehen!
Der kooperative Modus ist nur mit vier oder sechs Spielern möglich. Diese starten in getrennten Zellenblöcken und können auch nur in ihrem Zellenblock graben. Hier reicht es, wenn ein Spieler des Teams die geforderte Anzahl an Tunnelpunkten zusammenbekommt. Zudem gibt es einige zusätzliche Aktionsmöglichkeiten wie z. B. das Tauschen von Gegenständen untereinander oder der gemeinsame Kampf.
Gemeinsam raus
Für das Spiel zu Zweit sollte unbedingt die Erweiterung Michel und Michelle, für das Spiel zu Viert der kooperative Modus genutzt werden. Das normale Spiel ohne jede Erweiterung eignet sich super als Einführungstutorial. Wer sich das zu Herzen nimmt bekommt ein tolles Spiel mit einer seichten Spieltiefe, dass schnell gelernt und auch schnell gespielt ist.
An vielen Stellen kommt der PushYourLuck Mechanismus gut heraus: soll ich würfeln und riskieren, dass ich nicht in den gewünschten Raum komme? Setze ich Michel/Michelle am Ende meines Zuges um einem Mitspieler das Knastleben zu erschweren? Gewinne ich den Kampf falls Michel/Michelle dann plötzlich bei mir auftaucht? Wird der Spieler sich böse rächen, wenn ich ihn mit der Aktionskarte in die Einzelzelle werfe, oder ihm einfach was auf die Mütze haue? Das alles sind ganz typische Gedanken, die einem während des Spiels durch den Kopf gehen - und meistens kommt es dann doch anders als gedacht.
Die Illustrationen lassen garantiert kein Knastklischee aus und sind - wie man es von Mihajlo Dimitrievski gewohnt ist - sehr stimmig. Die Altersgrenze von 16+ fanden wir sehr übertrieben und für den Mechanismus nicht passend. Klar ist das Thema nicht unbedingt für Kinder geeignet, aber da gibt es weit schlimmere Dinge in der Medienwelt mit FSK 12. Alles in allem aber ein tolles Spiel, dass das Zeug zum Kulttitel hat!
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